Die Skulptur: „Tragende“ von Will Lammert, künstlerisches Wahrzeichen der Gedenkstätte Ravensbrück.
06. Mai 2025
Besuch der Gedenkstätte Frauen-KZ Ravensbrück
„Erinnern heißt verstehen – Verstehen heißt handeln.“
Vom 22. bis 25. April 2025 unternahm eine Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener aus der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (BvB) des Fach-Werk-Minden e.V. eine außergewöhnliche und tief bewegende Reise zur Gedenkstätte des ehemaligen Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück in Brandenburg. Unter der thematischen Leitfrage „Im Gefolge der SS – Wie aus Menschen Täter:innen werden“ begaben sich die Teilnehmenden auf eine historische und zugleich persönliche Spurensuche.
Eine besondere Gruppe mit besonderem Zugang
Die Jugendlichen aus der Maßnahme BvB, viele mit Migrationsbiografie, haben im Alltag kaum Berührungspunkte mit derartigen historisch-politischen Bildungsformaten. Umso bedeutungsvoller war es, diesen jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, Geschichte nicht nur zu lernen, sondern sie vor Ort zu erleben, zu begreifen – und sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Ort des Grauens in malerischer Idylle
Bereits die Ankunft war geprägt von einem bedrückenden Widerspruch: Die Gedenkstätte liegt idyllisch am Schwedtsee, umgeben von Natur und scheinbarer Ruhe – und doch verbirgt dieser Ort eine der grausamsten Kapitel deutscher Geschichte. Die Gebäude, in denen heute die Jugendherberge untergebracht ist und wir übernachteten, waren einst die Wohnhäuser der Aufseherinnen des KZ – Täterinnen, die einst mitten in dieser friedlichen Landschaft Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen.
Nach einer kurzen Einführung begannen die Teilnehmenden ihre Erkundung des Geländes. Mit Kameras und Notizbüchern ausgestattet, hielten sie erste Eindrücke fest und diskutierten ihre unmittelbaren Reaktionen: Schweigen, Nachdenklichkeit, Fragen.
Projektarbeit: Täterinnen im Fokus
Im Zentrum der mehrtägigen Projektarbeit stand die Auseinandersetzung mit den weiblichen Täterinnen des Lagers. In Kleingruppen forschten die Jugendlichen zu Biografien der Aufseherinnen, analysierten Filme, gestalteten dialogische Plakate und produzierten Audiobeiträge. Ihre Ergebnisse offenbarten erschütternde Erkenntnisse: Viele der Aufseherinnen waren keine „Monster“, sondern Frauen aus einfachen bürgerlichen Berufen, oft freiwillig oder durch das Arbeitsamt in den Dienst gestellt. Sie profitierten von sozialem Aufstieg, Uniformen, gesellschaftlicher Anerkennung – und übten dennoch tagtäglich brutale Gewalt aus, ohne äußeren Zwang.
Diese nüchterne, schwer zu akzeptierende Erkenntnis warf zentrale Fragen auf: Was bringt Menschen dazu, Mitgefühl und Moral zu verdrängen? Welche Rolle spielen Macht, Anerkennung und soziale Sicherheit? Und vor allem: Sind diese Mechanismen heute noch wirksam?
Vom Verstehen zum Nachdenken – und zum Handeln
Die Diskussionen im Plenum zeigten die Tiefe der Auseinandersetzung. Viele Jugendliche berichteten von innerer Wut, Unverständnis, aber auch einem neuen Bewusstsein: Demokratie, Menschlichkeit und Respekt sind keine Selbstverständlichkeiten – sie müssen gepflegt, gelebt und verteidigt werden.
Der schwierigste Teil war die Übertragung auf das Heute. Kann auch in unserer Gesellschaft Macht über andere durch Einkommen, Status und Abwertung „gerechtfertigt“ werden? Und wie schützen wir unsere Demokratie vor einem erneuten moralischen Versagen?
Die wichtigste Erkenntnis
Am Ende der Reise stand ein starkes, gemeinsames Fazit, getragen von Erkenntnis, Empathie und Gemeinschaft: Freundschaften, menschliche Beziehungen und Mitgefühl ohne Unterschiede geben die Kraft und die Zuversicht für eine Demokratie, die einzige Staatsform, die gelernt werden muss (vgl. Oskar Negt, 2004).
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Artikel 1 des Grundgesetzes)
Diese Reise hat Spuren hinterlassen – im besten Sinne. Die jungen Menschen haben sich mit der Geschichte auseinandergesetzt, sich gegenseitig zugehört, diskutiert und reflektiert. Zwischenmenschliche Verbindungen sind entstanden, Vorurteile wurden abgebaut, Mitgefühl gestärkt.
Wir vom Fach-Werk-Minden sind stolz auf unsere Teilnehmer:innen. Sie haben nicht nur Geschichte gelernt, sondern sie erlebt – und daraus Verantwortung abgeleitet. Die Demokratie braucht solche Erfahrungen, braucht junge Menschen, die hinschauen und hinterfragen. Diese Reise wünschen wir allen Menschen.